in Rants

Aneinander Vorbeireden

(Warnung vorweg: Ich bin ein weißer Cis-Mann, Feminist, kein Anwalt, nicht ideologisch verhärtet, nehme mir das Recht heraus, mich über alles und jeden lustig zu machen und bin großer Fan von aufrichtigem Argumentieren. Im Übrigen: xkcd.com/386.)

Abseits des regulären technischen Programms möchte ich hier mal Sanczny’s Text Fefe, § 177 StGB und Nein heißt Nein und die Diskussion drumrum (insbesondere die Kommentare unter twitter.com/sanczny/status/584596109789626368) würdigen.

Ich finde es immer wieder schade wenn Menschen die eigentlich der gleichen Meinung sind, aneinander vorbeireden und das gekonnt durch Missverstehen der jeweils anderen Person aufrechterhalten. Wohlgemerkt unterstelle ich hier keine Absicht. Ich möchte ganz überhaupt nicht so verstanden werden, dass ich jemandem etwas unterstelle. Ich finde, man sollte dem Autor eines Textes nichts unterstellen, was nicht in diesem Text steht. So, und nun lese ich Fefe, § 177 StGB und Nein heißt Nein (Fefes Texte kenne ich alle), komme zum ersten Fefe-Zitat und muss schon innehalten.

Ja, Empathie und Fingerspitzengefühl ist zugegebenermaßen nicht Fefes Stärke. Und meine auch nicht. Aber das schöne an Sachverhalten ist, dass sie völlig unabhängig von der Art, in der sie vorgebracht werden, sind. Und

Ja. Die Fälle, die keine Vergewaltigung sind.

ist unter diesem Gesichtspunkt nicht zu bemängeln. Lasst mich erklären.

Das Wort »Vergewaltigung« kommt in diesem und anderen Texten häufig vor, immer aber ohne Definition. Es hat sicherlich jeder eine eigene, für sich richtige Definition, oder wenigstens eine Blackbox in der Art von »I know it, when I see it«. Aber zugrunde zu legen, dass alle Menschen darin übereinstimmen müssen, ist mindestens anmaßend. Und wenn man in der Diskussion unterschiedliche Definitionen zugrunde legt, ist der Ärger vorprogrammiert.

A rose by any other name

(Und noch ein Einschub: Ich möchte nichts relativieren oder jemanden angreifen. Ich finde aber, man kann nicht aufrichtig diskutieren, wenn nicht beide Parteien darüber im Einklang sind, worüber sie reden. Und außerdem bin ich auch immer ein Fan davon, das Ding an sich und seine Benennung getrennt zu betrachten.)

Eine der Grundannahmen die ich treffen, aber nicht weiter verteidigen möchte, ist, dass ich glaube, dass wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber haben, dass sexuelle Handlungen ohne Zustimmung aller beteiligten Parteien kacke sind (auch dieses Wort möchte ich ohne weitere Definition verwenden und vertraue darauf, dass jeder darunter einen negativ konnotierten, zu vermeidenden Zustand versteht). Wo sich der mögliche Diskussionsrahmen aufspannt, ist, wie man diesen Konsens in geltendes (Straf-)Recht überführt. Vorzugsweise ohne Rückgriffe auf das »gesunde Volksempfinden« oder ähnliche Konstruktionen.

Mir scheint (Achtung: Unterstellung), die eine Partei geht jetzt so vor, dass sie alle Fälle von »sexuelle Handlungen ohne Zustimmung aller beteiligten Parteien« mit dem Wort »Vergewaltigung« belegt und in einem zweiten Schritt daher eine Strafbarkeit mit dem Strafrahmen des existierenden §177 StGB dafür fordert.

Eine andere Partei ist verwirrt, und beißt sich vor allem an dieser Definition des Begriffs »Vergewaltigung«.

Ich bin Informatiker und betrachte das erstmal komplett wertneutral. Jede beliebige Definition ist zunächst ›korrekt‹, so lange sie widerspruchsfrei ist. Man fordert aber doch schon ganz gerne mal zusätzlich, dass sie auch hilfreich ist.

Zurück zu dem bemängelten Fefe-Zitat und Sanczny’s Antwort: Das Deutsche Strafgesetzbuch hat auch eine Definition von »Vergewaltigung« (die im übrigen nicht ist, was Sanczny zitiert), das ist aber nicht seine Hauptaufgabe. Die Hauptaufgabe ist, Straftatbestände zu beschreiben (ggbf. zu benennen, aber nur nebenbei) und passende Strafen festzulegen. Und diese Definition findet sich in §177 (2) Punkt 1 StGB: Vergewaltigung ist Sexuelle Nötigung mit besonderer Erniedrigung des Opfers.

Und somit ist

In Deutschland gibt es somit Vergewaltigungen, die de jure keine sind.

genauso richtig und insbesondere genauso falsch wie die entsprechende Fefe-Aussage.

Was tun?

Sanczny schlägt vor, §177 (1) StGB um einen vierten Punkt

ohne Zustimmung oder gegen ihren geäußerten Willen

zu ergänzen.

Da gibt es nun erstmal formelle Einwände meinerseits: »gegen ihren geäußerten Willen« ist in »ohne Zustimmung« schon enthalten. Thomas Fischer hat in Unsinn im Strafgesetzbuch und in Über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen sehr scharfsinnig (und unterhaltsam) mehrere aktuelle Fälle von doppelten Mopplungen im StGB beschrieben, da braucht man nicht noch mehr dazu tun.

Inhaltlich hat @machinist_gitju in twitter.com/machinist_gitju/status/584723169963024384 und ff. sehr schön kurz und prägnant (und kürzer als ich das hier getan hätte) meine Bauchschmerzen mit dieser Erweiterung angerissen. Und wurde dafür zerrissen.

Bevor ich mich der Twitter-Diskussion widme, noch ein bisschen blitzlichtmäßig zum Rest vom Text:

§ 177 StGB stellt in seiner aktuellen Fassung nicht jede Form von sexuellen Handlungen ohne Zustimmung unter Strafe.

Korrekt, keine Widerrede.

Alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen sollten strafbewehrt sein.

Finde ich auch.

Auch Personen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sind, sich zu wehren oder ihren Willen zu äußern, z.B. weil sie starr vor Schreck sind, müssen geschützt werden.

Über die Schutzwirkung eines Gesetzes möchte ich nochmal bitten, nachzudenken. Papier ist zunächst mal geduldig.

Was wird sich durch die neue Regelung ändern? In Fällen, in denen unstreitig keine Zustimmung vorlag, haben die Opfer nicht mehr einfach “Pech gehabt”, weil sich die Tat nicht als Vergewaltigung qualifizierte.

Ja, unter dieser Auslegung stimme ich einer Gesetzesergänzung (bereinigt um inhaltliche Probleme und Dopplungen) zu. Denke aber nicht, dass der Effekt sehr groß ist. Die ganzen ad-hominem- und non-sequitur-Argumentationsfäden im Text darüber haben aber dazu nichts beigetragen.

Stattdessen hätte ich lieber eine praktische Erörterung wie denn jetzt eine »nicht einverständliche sexuelle Handlung« juristisch umgesetzt wird. Das ist schließlich genau der Knackpunkt der zu der aktuellen Gesetzeslage führt. Die Macher haben sich damals ja wohl eher nicht gedacht »Hey, diese Arten von nicht-konsensuellen sexuellen Handlungen stellen wir absichtlich nicht unter Strafe«.

Mir schwirrt es nämlich grade im Kopf. Ist nicht jede erfolgreich vollzogene sexuelle Handlung ohne Nötigung notwendigerweise eine (ggbf. konkludent) einverständliche Handlung?

Und dann ist da noch

@machinist_gitju Wenn du ernsthaft meinst dir koennte entgehen, dass du gerade jemanden vergewaltigst dann bitte hab nie mehr Sex!! @sanczny (@GinGlitzerblut)

Da ist wieder diese unklare Verwendung des V‑Wortes. Aber wenn, in der Maximalforderung, eine Vergewaltigung jede sexuelle Handlung ist, die nicht von allen Parteien gewollt ist, also inbesondere keine Gewalt, Gegenwehr oder Verbalisierung des Unwillens erfordert, dann ist das sehr wohl vorstellbar.

Update: Da ich twitter für vollständig ungeeignet für die Führung einer Diskussion halte, muss ich mal zitieren und hier antworten.

“Ist nicht jede erfolgreich vollzogene sexuelle Handlung ohne Nötigung notwendigerweise eine (ggbf. konkludent) einverständliche Handlung?” Ernsthaft, @henrykploetz? Hast du meinen Text gelesen? Da erkläre ich, dass der Paragraf geändert werden muss, WEIL da Nötigung vorausgesetzt wird und das nicht mit der Entscheidung des Europarats vereinbar ist. Dann nimmst du meine de jure / de facto Unterscheidung, und tust, als wärst du da selber drauf gekommen? Willst du mich verarschen?(@sanczny und ff.)

Ich bitte um Verzeihung, aber diesen Gedanken hab ich wohl tatsächlich viel zu kurz formuliert. Ich war bei einer anderen Ebene: Nämlich vor der Formulierung der Gesetze. Mein Gedankengang – und ich unterstelle jetzt mal, dass die ursprüngliche Gesetzesformulierung so ähnlich entstanden ist – sieht ungefähr so aus. Fall a: Sie sagt »Nein!«, er sagt »Ach komm’ schon, du darfst auch oben sein.«, sie überlegt es sich in Anbetracht dieses Arguments anders, es kommt zum Geschlechtsverkehr. Fall b: Sie sagt »Nein!«, er sagt »Ach komm’ schon, du darfst auch oben sein.«, sie überlegt es sich nicht anders, es kommt zum Geschlechtsverkehr. Beides Fälle ohne Nötigung. Ich möchte behaupten, Fall a ist konsensuell und Fall b nicht. Aber was ist nach außen hin der Unterschied? Er hat keine Nötigung oder Gewalt ausgeübt, sie hat keine Gegenwehr gezeigt, sogar aktiv partizipiert. Darf er dann nicht konkludent von einer Einwilligung ausgehen? In der Konsequenz für die Formulierung eines für alle gültigen Gesetzes bedeutet das: Keine Nötigung und keine Gegenwehr → keine fehlende Einwilligung.

Und ansonsten: Ich habe deinen Text nicht nur gelesen und zitiert, sondern stimme dir unter Vorbehalten auch zu. Ich bin aber nicht überzeugt, dass es in der Rechtssprechung einen Unterschied macht.

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